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Nobelpreis für Physik geht an Gravitationswellenforscher

Nobelpreis für Physik geht an Gravitationswellenforscher

Gravitationswellen, die während der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher abgestrahlt werden. © S. Ossokine, A. Buonanno (Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik), Simulating eXtreme Spacetimes Projekt, D. Steinhauser (Airborne Hydro Mapping GmbH)

Die Leibniz Universität Hannover und das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) in Hannover und Potsdam gratulieren ihren Kollegen zum Nobelpreis für Physik 2017. Die Forscherinnen und Forscher des AEI sind Teil der internationalen Kollaboration, die vor rund zwei Jahren die erste Gravitationswelle entdeckt hat, als diese die Erde durchlief.

Glückwünsche von der Leibniz Universität Hannover und vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover und Potsdam

Die Leibniz Universität Hannover und das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) in Hannover und Potsdam gratulieren Rainer Weiss, Barry C. Barish und Kip S. Thorne zum Nobelpreis für Physik 2017: „Wir gratulieren unseren Kollegen von Herzen und freuen uns sehr über diese Auszeichnung für drei Pioniere der Gravitationswellenforschung. Sie haben ihr Ziel nie aus den Augen verloren und Generationen junger Wissenschaftler inspiriert,“ erklären Prof. Bruce Allen (Professor an der Leibniz Universität), Prof. Alessandra Buonanno und Prof. Karsten Danzmann (Professor an der Leibniz Universität), die das AEI leiten, sowie Bernard F. Schutz als emeritierter Gründungsdirektor des AEI. „Wir sind stolz, Teil der internationalen Kollaboration zu sein, die vor rund zwei Jahren die erste Gravitationswelle entdeckt hat, als diese die Erde durchlief. Das war ein Wendepunkt für die astronomische und astrophysikalische Forschung. Wir haben damit ein neues Werkzeug zur Beobachtung des Universums“. Auch der Präsident der Leibniz Universität Hannover ist begeistert. „Ich freue mich sehr, dass der Nobelpreis in diesem Jahr an diesen bahnbrechenden wissenschaftlichen Nachweis von Gravitationswellen geht“, sagt Prof. Dr. Volker Epping. „Ich freue mich umso mehr, weil an der Entwicklung der Gravitationswellen-Messtechnik Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um unseren Professor Karsten Danzmann in Hannover maßgeblich beteiligt waren und in die Ligo-Kollaboration involviert sind“.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Leibniz Universität Hannover und des Max-Planck-Instituts haben in Zusammenarbeit mit britischen Forschern viele der Laser-Schlüsseltechnologien, die zur nie zuvor erreichten Empfindlichkeit von aLIGO beigetragen haben, entwickelt und im Gravitationswellen-Detektor GEO600 in Ruthe bei Hannover getestet. GEO600 dient als Ideenschmiede und Prüfstand für fortschrittliche Detektortechnologien. Auch die Datenanalyse läuft zum großen Teil in Hannover. Die meisten Messdaten der Observatorien in den USA landen im hannoverschen Cluster Atlas, dem weltweit größten Computercluster zur Datenanalyse von Gravitationswellen.

Die Gravitationswellenforschung wird seit den 1960er Jahren von einer internationalen Kollaboration getragen, die weder Kalter Krieg noch finanzielle Engpässe in vielen Ländern aufhalten konnte. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Max-Planck-Gesellschaft waren von Anfang an dabei. Schritt für Schritt entstand seitdem ein weltumspannendes Netz von mehr als 1000 Forschenden.

Die Max-Planck-Gesellschaft und die Leibniz Universität leisten entscheidende Beiträge

Forschende des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) in Hannover und Potsdam und vom Institut für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover haben in mehreren Schlüsselgebieten entscheidend zu den Entdeckungen beigetragen:

  • mit der Entwicklung und dem Betrieb extrem empfindlicher Detektoren an den Grenzen der Physik,
  • mit effizienten Methoden der Datenanalyse, die auf leistungsfähigen Computerclustern laufen und
  • mit der Konstruktion von hochgenauen Wellenformmodellen für den Nachweis und die Interpretation der Signale.

Pionierarbeit der Gravitationswellenforschung in der Max-Planck-Gesellschaft

Der erste direkte Nachweis von Gravitationswellen am 14. September 2015 war der Höhepunkt jahrzehntelanger Forschung auf dem Gebiet der Gravitationswellendetektion in der Max-Planck-Gesellschaft seit den ersten Anfängen in den 1960er Jahren. Eine Max-Planck-Gruppe am MPI für Physik und Astrophysik in München unter Leitung von Heinz Billing († 4. Januar 2017) führte Koinzidenzmessungen zwischen Resonanzdetektoren durch und widerlegte die frühen Behauptungen eines direkten Nachweises von Gravitationswellen. In den frühen 1970er Jahren begann Billings Gruppe – damals als einzige weltweit – mit Laserinterferometrie zu arbeiten. Sie baute Prototypen und trieb die Technologieentwicklung schnell voran.

Die Max-Planck-Gesellschaft unterstützte diese Gruppe konsequent weiter, nachdem Billing pensioniert worden war und er den Staffelstab zunächst 1986 an Gerd Leuchs und 1989 an Karsten Danzmann übergab. Gemeinsam mit ihren britischen Partnern an den Universitäten in Glasgow und Cardiff war die Gruppe die erste, die einen großen Gravitationswellen-Detektor mit 3 Kilometer Armlänge entwarf und beantragte; jedoch waren die Fördergelder für ein solches Instrument in Deutschland nicht verfügbar.

Im Jahr 1995 holte die Max-Planck-Gesellschaft Bernard Schutz von Cardiff nach Deutschland, um die Gründung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik zu unterstützen, zunächst in Potsdam, dann 2002 auch in Hannover, mit dem expliziten Auftrag, ein weltweites Zentrum für Gravitationswellenforschung zu werden. Die Leibniz Universität Hannover und die Volkswagenstiftung kamen ins Boot und die Kooperation mit Glasgow und Cardiff wurde intensiviert. Das war 1994 das Startsignal für GEO600, einem kosteneffizienten deutsch-britischen Gravitationswellen-Observatorium, das seither als Ideenschmiede der Detektor-Entwicklung dient. Die High-End-Technologie, die hier entwickelt wurde, bildet heute das Herz aller großen Gravitationswellen-Detektoren einschließlich Advanced LIGO.

Gravitationswellensignale mit neuen Methoden zur Lösung der Einsteingleichungen vorhersagen

Parallel zum Bau immer empfindlicherer Messinstrumente entwickelten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler immer präzisere Vorstellungen der zu erwartenden Gravitationswellensignale und ihrer möglichen Quellen. Schon früh war auch klar, dass komplexe Datenverarbeitungsverfahren notwendig sind, um die schwachen Gravitationswellensignale zu entdecken. Bernard Schutz leistete auf diesem Gebiet Pionierarbeit mit Daten der kleineren Detektor-Prototypen in München und in Glasgow, und das AEI wurde zu einem weltweiten Zentrum für die Entwicklung ausgefeilter Analysemethoden. Schutz baute auch die zu dieser Zeit weltweit größte Gruppe auf, die sich mit Supercomputer-Simulationen von verschmelzenden schwarzen Löchern beschäftigte; solche Simulationen waren integraler Bestandteil der Entdeckung und Interpretation der Advanced-LIGO-Messung.

Solche berechneten Wellenformen sind wichtig, reichen aber allein nicht aus. Die Datenanalyse-Algorithmen wenden mehrere Hunderttausend Wellenformen an und es dauert Wochen, allein eine einzige Wellenform zu simulieren! Daher ist es erforderlich, Näherungsverfahren zu entwickeln, mit denen die Einstein-Gleichungen schneller gelöst und Wellenformen kurzfristig bereitgestellt werden können.

In den späten 1990er Jahren entwickelten Alessandra Buonanno, seit 2014 Direktorin am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam und College Park Professorin an der Universität Maryland in den USA, und Thibault Damour (IHES, Paris) einen neuen Ansatz, um die Bahnen zweier sich umrundender Körper zu beschreiben. Dafür kombinierten sie mehrere Näherungsverfahren, um die Wellenformen verschmelzender schwarzer Löcher zu berechnen. In den letzten 15 Jahren entstanden daraus unter Berücksichtigung von Ergebnissen der numerischen Relativitätstheorie hochgenaue Methoden, die sie auch auf Doppelsysteme aus Neutronensternen erweiterten. Forschende am AEI in Potsdam und zuvor an der University of Maryland bauen darauf basierend hochgenaue Wellenformmodelle, indem sie die besten Werkzeuge zur Lösung der Einsteinschen Gleichungen kombinieren. Sie nutzen sie, um erfolgreich Gravitationswellen in den Beobachtungsdaten von Advanced LIGO zu entdecken. Forschende am AEI Potsdam nutzen diese Wellenformen ebenfalls um astrophysikalische und fundamentalphysikalische Eigenschaften von Doppelsystemen zur bestimmen und um die Allgemeine Relativitätstheorie zu überprüfen.

Gravitationswellen finden: Datenanalyse auf rechenstarken Großcomputern

Mit diesen Wellenmustern analysieren Forschende am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover unter der Leitung von Bruce Allen die Detektordaten auf rechenstarken Großcomputern. Sind die Signale erst einmal gefunden, werden diese Schablonen benutzt, um astrophysikalische Informationen aus den Messergebnissen herauszufiltern: Wo genau befindet sich die Quelle? Was steckt dahinter? Schwarze Löcher oder Neutronensterne? Welche Masse besitzen sie und wie schnell drehen sie sich?

Bei der Entdeckung der ersten Gravitationswellen führten Max-Planck-Forschende den Großteil der Produktions-Datenanalyse aus. Zusätzlich stellte der vom AEI in Hannover betriebene Cluster Atlas, der weltweit leistungsfähigste Großrechner für die Suche nach Gravitationswellen, den Hauptteil der Rechenleistung für die Entdeckungen und die Analyse von Advanced-LIGO-Daten zur Verfügung. Atlas hat mehr als 160 Millionen CPU-Kernstunden für die Analyse von Advanced-LIGO-Daten bereitgestellt, das entspricht fast der Hälfte der globalen Rechenleistung in der LIGO Scientific Collaboration.

Die dunkle Seite des Universums beleuchten

Diese enge Zusammenarbeit von Experimenten, Simulationen, analytischen Berechnungen und Datenanalyse erlaubt es Forschenden letztendlich Licht in die dunkle und unsichtbare Seite des Universums zu bringen. Die heutige Nobelpreis-Bekanntgabe ehrt die Gründungsväter dieses Forschungsfelds, deren Pionierarbeit den Beginn einer neuen Ära der Astronomie ermöglichte.

 

Quelle: Presseinformation Nr. 123/2017 der Leibniz Universität Hannover

Weitere Informationen erhalten Sie auf der Website des Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI)